Bericht zur Keynote von Mel Ainscow: Developing Inclusive Education Systems – The Role of Research and Researchers

Lea Rüger
Lea Rüger
Erstellt am 29.11.2024.

Am 29. November 2024 hielt Prof. Dr. em. Mel Ainscow (University of Manchester, UK) im Rahmen des Online-Fachtags „Inklusion gemeinsam entwickeln mit dem Design-Based-Research-Ansatz“ eine inspirierende Keynote. Mit beeindruckender Expertise beleuchtete er globale Herausforderungen, zentrale Erkenntnisse aus eigenen Forschungsprojekten und die entscheidende Rolle von Forschung und Forschenden für die Entwicklung inklusiver Bildungssysteme.

Einführung: Entwicklung inklusiver Schulsysteme

Mel Ainscow eröffnete seinen Vortrag mit einem Blick auf den globalen Kontext inklusiver Bildung. Er hob hervor, dass weltweit 260 Millionen Kinder keinen Zugang zu Bildung haben. Dabei betonte er die Verantwortung wohlhabender Länder wie Deutschland oder Großbritannien:

„We are at the luxury end of the world. We have a moral duty. I think we can make progress towards inclusive education if we have the collective will to make it happen.”

Im Anschluss ging Ainscow auf die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung und die Agenda Bildung 2030 ein, wobei er das Bildungsziel (SDG 4) als besonders zentral hervorhob. Bildung sei aus seiner Sicht der Schlüssel zur Erreichung aller anderen Entwicklungsziele, da sie alle anderen Entwicklungsziele positiv beeinflusse. Für Ainscow ist der entscheidende Grundsatz, an dem sich Bildungssysteme orientieren sollten: „Every learner matters and matters equally.”

Um Bildungssysteme inklusiver zu gestalten, plädierte er für einen „inclusive turn“, also eine klare Abkehr von alten Denkmustern und Strukturen. Dabei unterstrich er, dass Inklusion ein Prozess und kein Zustand sei – eine inklusive Schule in einer fertigen Form werde es nie geben. Zudem sieht er das Identifizieren und Beseitigen von Barrieren als ein wichtiges Element, um Inklusion voranzutreiben. Solche Barrieren können struktureller Natur sein, etwa durch ungeeignete Gebäude, curriculare Vorgaben oder Lehr- und Lernmethoden. Sie können aber auch auf unseren eigenen Überzeugungen beruhen: „If we don’t believe that it is possible, then we don’t make progress.” Ainscow wies auch darauf hin, dass Barrieren nicht bei den Kindern selbst liegen, sondern im Bildungssystem und seinen Strukturen. Dennoch mahnte er, besonders gefährdete Gruppen im Blick zu behalten, da es eine moralische Pflicht sei, sicherzustellen, dass kein Kind zurückgelassen wird.

Lessons Learned: Forschungsprojekte und Erkenntnisse

Mel Ainscow ließ uns an seinen Erfahrungen, Überlegungen und Reflexionen zu drei Forschungsprojekten teilhaben. Er illustrierte, wie Forschung zu inklusiveren Bildungssystemen beitragen kann und welche Erkenntnis er aus den verschiedenen Projekten ziehen konnte („lessons learned“):

  1. Understanding and Developing Inclusive Practices in Schools

    Das erste Projekt basierte auf einem kollaborativen Aktionsforschungsnetzwerk. Eine wesentliche Erkenntnis aus diesem Projekt war die Bedeutung und Wirkung von Evidenz in Schulen. Die Sammlung von Daten in Schulen führte zu Momenten des Innehaltens, die Raum für Reflexion und Veränderung boten: „Collecting evidence in schools provided interruptions, evidence makes people stop and think.”

  2. Equity Research Work

    Im zweiten Projekt kam ein designbasierter Ansatz zum Einsatz. Er beschrieb, dass Überzeugungen von Lehrkräften den in Schülerbefragungen gesammelten Evidenzen widersprachen. Somit führte das Sammeln von Daten auch in diesem Projekt zu Momenten des Reflektierens und der Veränderung. Eine der zentralen Erkenntnisse war die Wichtigkeit der Perspektive der Schüler:innen: „The voice of learners is crucial. What is it that they are experiencing?”

  3. Every Dundee Learner Matters

    Im dritten Projekt wurde deutlich, dass Schulen oft über enormes, jedoch ungenutztes Potenzial verfügen, das durch verstärke Zusammenarbeit und den gezielten Einsatz von Evidenz aktiviert werden kann. Eine engagierte Führung, die solche Prozesse unterstützt, ist hierbei unerlässlich. „Schools always know more than they use.”

Am Ende der Projektvorstellungen betonte Ainscow das wiederkehrende Muster in allen drei Projekten: Forscher:innen setzten an den wahrgenommenen Herausforderungen und Problemstellungen der Praktiker:innen an, sammelten im Anschluss Evidenzen, und initiierten darauf aufbauend Diskussionen und Raum für Reflexion und Veränderung. Die Präsentation von Evidenzen an die Praktiker:innen waren bei allen Projekten maßgeblich, um Entwicklungsprozesse anzustoßen.

Fazit: Die Rolle der Forschung bei inklusiver Schulentwicklung

In seiner abschließenden Botschaft hob Ainscow die Komplexität und Verantwortung der Forschung in DBR-Projekten hervor:

„The roles of research and researchers is complex and requires flexibility and a degree of humility. It’s a process of social learning: it is technical simple, but socially complex”

Außerdem betonte er, dass im Kontext inklusiver Schulentwicklung Forschung dazu beitragen müsse, Evidenzen zu generieren, Prozesse zu analysieren und Theorien zu entwickeln, die den Abbau von Barrieren unterstützen. Als Forscher:in im Rahmen von Wissenschaft-Praxis-Kooperationen hebt Ainscow insbesondere die Funktion wissenschaftlicher Belege hervor: „Evidence creates a moment of interruption, of disturbance that will lead to innovation and reflection in schools.”

Impulse für Forschung und Praxis

Die Keynote von Prof. Dr. Mel Ainscow machte deutlich, dass der Weg zu inklusiven Bildungssystemen machbar ist, wenn sich Forschende und Praktiker:innen gemeinsam für dieses Ziel engagieren. Seine praxisnahen Beispiele und inspirierenden Einsichten lieferten wertvolle Impulse, wie inklusive Schulentwicklung durch Design-Based-Research gelingen kann.

Mehr Inspiration und Erkenntnisse von Mel Ainscow gibt es in seinem jüngst erschienenen Buch:

Ainscow, M. (2024). Developing Inclusive Schools: Pathways to Success (1st ed.). Routledge. https://doi.org/10.4324/9781003438014

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Lea Rüger

Lea Rüger

Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Innovation Hub INKLUSION

Lea Rüger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Fakultät für Teilhabewissenschaften der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit den Einstellungen der Allgemeinbevölkerung zur inklusiven Bildung. Weitere Forschungsinteressen liegen im Bereich der Evidenzbasierung von Unterricht und Förderung.